Die Lehrerkammer beantragt, die BSB möge das zweistufige LSE-Diagnoseverfahren vollständig abschaffen, zugunsten einer entwicklungsbegleitenden Förderdiagnostik.
Ein von der BSB in Auftrag gegebenes Gutachten der Professoren Rauer und Schuck hatte den vielfach von Lehrkräften benannten Mehrbedarf an sonderpädagogischer Förderung insbesondere an den Stadtteilschulen, aber auch an den Grundschulen bestätigt. Dennoch ließ die Behörde im Herbst 2014 ein neues Verfahren zur Diagnostik für die Bereiche Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung (LSE) von SonderpädagogInnen und GrundschullehrerInnen in den 4. Klassen durchführen. Es umfasste einen 11seitigen Vorklärungsbogen, der mit durchschnittlich 5 Stunden Arbeitszeit und weiteren 1-2 Konferenzen pro Schüler enormen zusätzlichen Aufwand nach sich zog . Im Januar 2015 bestätigte dieses Verfahren eindrucksvoll den von Schuck und Rauer festgestellten Mehrbedarf an sonderpädagogischer Förderung (6,6 statt 4 % „LSE-Kinder“). Nun soll dieses „Diagnoseverfahren“ laut Behördenschreiben vom 1. 4. 2015 jedes Jahr in den Klassen 3 und 4 durchgeführt werden.
Dabei handelt es sich um ein bloßes Feststellungs- und Zuschreibungsverfahren. Eine solche Zuschreibungs- und Feststellungsdiagnostik ist in den letzten Jahrzehnten (!) aus guten, fachlichen Gründen immer wieder kritisiert worden. Dennoch soll nun die Durchführung und Handhabung normorientierter und standardisierter Leistungs- und IQ-Test wieder festgeschriebenes Programm werden.
Die Lehrerkammer sieht dieses Verfahren als pädagogisch sinnlos, vielmehr ausschließlich als ein Instrument zur Steuerung von Ressourcen an, da es vorrangig der Schulorganisation der Klasse 5 und der Ressourcenzuweisung an die Stadtteilschulen dienen soll. Schon in ihrem Abschlussbericht (2014) sprechen die Professoren Schuck & Rauer in Bezug auf das damals bereits avisierte zweistufige Verfahren von einer bloßen „verwaltungstechnischen Kategorie“.
Zu diesem verwaltungstechnischen Zweck werden nun Ressourcen aus der pädagogischen Arbeit mit den Kindern für schulorganisatorische Aufgaben der Grundschulen abgezogen. Gemessen an der bislang schon völlig unzureichenden systemischen Ressource (noch einmal: 6,6 statt 4 % „LSE-Kinder“) werden die Grundschulen weiter geschwächt. In der Wahrnehmung der Lehrerkammer bedeutet das Verfahren einen erheblichen Mehraufwand für die Kolleginnen und Kollegen, der das einzelne Kind förderdiagnostisch nicht einen Schritt weiter bringt.
Dementgegen setzt sich die Lehrerkammer für eine Förderdiagnostik ein, die dazu beiträgt den nächsten Lern- und Entwicklungsschritt für und mit den Kindern zu definieren und damit weg von Defizitorientierung führt. Für diese Aufgabe sind die Grundschulen – und die Stadtteilschulen – weiter zu stärken. So empfehlen auch Schuck & Rauer:
„Zielführender erscheint eine Stützung der Schulen bei der Aufgabe, nach einheitlichen Regeln diagnosegestützte Förderpläne zu entwickeln und deren Umsetzung zu evaluieren.“
(Abschlussbericht, S. XVIII)
Diese diagnosegestützten Förderpläne sichern die Qualität des Überganges bspw. von Klasse 4 in 5.
Die Lehrerkammer fordert die Rückkehr zum Zwei-Pädagogen-System, um die inklusive Beschulung aller Schülerinnen und Schüler mit pädagogischem Förderbedarf, einschließlich sonderpädagogischem Förderbedarf, erfolgreich gestalten zu können. Die Ressourcen insbesondere an den Grundschulen müssen erhöht werden, um inklusive diagnostische und pädagogische Arbeit überhaupt bewältigen zu können. Eine „Feststellungdiagnostik“, wie sie das gegenwärtige Verfahren darstellt, ist dann überflüssig.
Die Lehrerkammer lehnt deshalb das zweistufige Verfahren zur Diagnostik in den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung ab und fordert dessen Abschaffung.