Zum Orientierungsrahmen Schulqualität

Stellungnahme der Lehrerkammer zum Entwurf des Orientierungsrahmens Schulqualität und zum Leitfaden des Orientierungsrahmens Schulqualität von2012

Die Lehrerkammer hat sich auf ihren Sitzungen am 16.8. und am 13.9.2012 mit dem aktuellen Entwurf „Orientierungsrahmen Schulqualität“ beschäftigt. Die Lehrerkammer kann nicht erkennen, dass der Orientierungsrahmen in der vorgelegten Fassung die Schulentwicklung positiv beeinflussen und zu besserer Unterrichtsqualität führen wird. Sie regt an, überhaupt erst einmal mit allen an Schule Beteiligten darüber zu sprechen, was gute Schule ausmacht und unter welchen Rahmenbedingungen sie möglich ist. Die originäre Qualitätssicherung geschieht durch die Beteiligten selbst; sie muss die wichtigste Säule der Qualitätssicherung sein. Die Lehrerkammer macht darauf aufmerksam, dass eine bessere Schule und besserer Unterricht nicht zum Nulltarif zu haben sind, sondern einen höheren Ressourcenaufwand nach sich ziehen wird.

Die Lehrerkammer kritisiert besonders diesen Aspekt der Vorlage: „Führung“ statt demokratischer Schulentwicklung. Den Schulleitungen, gemeint sind damit immer die Schulleiter oder die Schulleiterinnen persönlich, kommt im Orientierungsrahmen die einzig entscheidende Bedeutung zu. Sie haben „klare Vorstellungen, wohin sich die Qualität der Schule entwickeln soll“.  Diese werden mit den Gremien und Lehrkräften lediglich „diskutiert“, um „Akzeptanz“ zu schaffen. Dies steht im klaren Widerspruch zum Hamburgischen Schulgesetz (HmbSG), das in § 53 (4) Nr. 7 vorsieht, dass die Entscheidung der Grundsätze für die innerschulische Qualitätsentwicklung bei der Schulkonferenz (oder dem Schulvorstand) liegt. Das gilt im Übrigen auch für Schulprogramme und Ziel-Leistungs-Vereinbarungen, die nach HmbSG die Schulleitung nur abschließen kann, nach einer Entscheidung durch die Schulkonferenz (Schulvorstand)(Im Gegensatz dazu siehe Punkt 1.2.2. des Orientierungsrahmen). In wichtigen pädagogischen  Grundsatzfragen der Unterrichtsgestaltung, Unterrichtsmethoden und Leistungsbeurteilung entscheidet nach HmbSG die Lehrerkonferenz.  Ihre Rechte werden im Text unterschlagen, was auf eine Entdemokratisierung unter dem Vorwand der Anhebung der
Schulqualität hinausläuft. Die Schulleitungen sind also aus Sicht des Gesetzgebers mitdiskutierende, mitentscheidende und Gremienbeschlüsse ausführende Organe, nicht aber die alleinigen Entscheider. Parallel dazu wird der Schulleitung die Verantwortung für die gelingende Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung aufgebürdet, die von ihr „gesteuert“ werden soll. Diese neue Form eines technokratischen Absolutismus auf schulischer Ebene zieht sich wie ein roter Faden durch den Orientierungsrahmen. Eine für die Schule allein verantwortliche Schulleitung „steuert“, „gewährleistet“, „sorgt dafür“, „achtet darauf“ und macht ihre Entscheidungen allenfalls auch einmal „transparent“. Sie sorgt für „die Erhebung empirischer Daten“, die als Grundlage der Qualitätsentwicklung dienen, und wird so auf den Orientierungsrahmen eingeschworen (1.1.1.). Es wäre möglich, dass
die schulischen Gremien nicht so datengläubig sind wie es sich die Autoren des Orientierungsrahmens vorstellen.

Die Lehrerkammer befürchtet, dass eine ausufernde Erhebung empirischer Daten zu Unterrichtsstörungen führt und nicht als Beitrag zur Hebung der Schulqualität gesehen wird. Zudem macht der Orientierungsrahmen die Schulleitungen für Dinge verantwortlich, die sie entweder laut HmbSG gar nicht entscheiden dürfen oder die den Rahmenbedingungen bzw. schlechter Ressourcenzuweisung geschuldet sind.

Die Zahl der zu überprüfenden Qualitätsbereiche ist von 14 auf 22 Bereiche gestiegen. Von den Verfassern wird explizit eingeräumt, dass keine Schule alle Kriterien voll erfüllen kann. Und damit haben sie den Schulen einen Bärendienst erwiesen. Denn weder Schulleitungen noch das pädagogische Personal werden gestützt, wenn sie der offiziell formulierten Orientierung niemals gerecht werden können. So wird die Arbeit an den Schulen nicht verbessert, sondern Frustration und Burnout Vorschub geleistet.
Viele Qualitätskriterien zielen auf quantifizierbare Messbarkeit ab. Resultate von pädagogischen Prozessen werden stark auf die Ergebnisse von internen Lernerfolgskontrollen und externen Testsreduziert. Die Anzahl der Schulabschlüsse und der Verbleib der Schüler im Berufsleben oder auf weiterführenden Schulen sind oberstes Kriterium von Schulqualität.

Zudem macht der Orientierungsrahmen die Schulleitungen für Dinge verantwortlich, die sie entweder laut HmbSG gar nicht entscheiden dürfen oder die den Rahmenbedingungen bzw. schlechter Ressourcenzuweisung geschuldet sind. Die Zahl der zu überprüfenden Qualitätsbereiche ist von 14 auf 22 Bereiche gestiegen. Von den Verfassern wird explizit eingeräumt, dass keine Schule alle Kriterien voll erfüllen kann. Und damit haben sie den Schulen einen Bärendienst erwiesen. Denn weder Schulleitungen noch das pädagogische Personal werden gestützt, wenn sie der offiziell formulierten Orientierung niemals gerecht werden können. So wird die Arbeit an den Schulen nicht verbessert, sondern Frustration und Burnout Vorschub geleistet.

Viele Qualitätskriterien zielen auf quantifizierbare Messbarkeit ab. Resultate von pädagogischen Prozessen werden stark auf die Ergebnisse von internen Lernerfolgskontrollen und externen Tests reduziert. Die Anzahl der Schulabschlüsse und der Verbleib der Schüler im Berufsleben oder auf weiterführenden Schulen sind oberstes Kriterium von Schul- und Qualitätsentwicklung. Diese Ziele sind auch wichtig, zeugen aber zugleich von einem eingeschränkten Bildungsverständnis, das nur einen kleinen Ausschnitt der im § 2  HmbSG genannten Aufgaben von Schule berücksichtigt.Für die Lehrerkammer misst sich die Qualität von Schule daran, ob Aufgaben wie z.B. „an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken“ und „Mitverantwortung für die Erhaltung und den Schutz er natürlichen Umwelt zu übernehmen“ angestrebt werden.

Die Lehrerkammer kritisiert, dass im vorliegenden Entwurf eine inhaltliche Dimension von Schulqualität fehlt oder auf die Formeln von der „Teilhabe an der Gesellschaft“ und ein „erfolgreiches Berufsleben“ reduziert wird.

Rolle der Schulinspektion

Der Orientierungsrahmen soll Grundlage für die zukünftige Arbeit der Schulinspektion werden, deren Inspektionsergebnisse dann veröffentlicht werden. Das lehnt die Lehrerkammer ab. Sie befürchtet, dass die öffentliche Wahrnehmung der Berichte sich auf die quantifizierbaren Anteile beschränkt, da das eine scheinobjektive Vergleichbarkeit mit anderen Schulen ermöglicht. Unterschiedliche Rahmenbedingungen werden dabei nicht oder nicht angemessen berücksichtigt. Das könnte einige Schulen in Abwärtsspiralen führen, aus denen sie möglicherweise nur schwer wieder herauskommen. Wichtig wäre vielmehr, Schulen bei auftretenden Problemen zu stützen und gezielt zu helfen. Dazu reichen Ziel-Leistungs-Vereinbarungen und intensive Beratungs- und Fortbildungsprogramme nicht aus. Wichtig sind hier zumindest vorübergehend zusätzliche Ressourcen.

Ressourcen werden ausgeklammert

Der Orientierungsrahmen hebt nur auf den effizienten Einsatz der Ressourcen durch die Schulleitungen ab, berücksichtigt aber nicht, welche Qualität mit den zur Verfügung stehenden und möglicherweise nicht ausreichenden Ressourcen überhaupt möglich war. Eine gute Schule und qualitativ guter Unterricht erfordert ausreichende Ressourcen für Vor- und Nachbereitung.  Diese sind nach Ansicht der Lehrerkammer im Hamburger Schulwesen nicht vorhanden. So sieht die gegenwärtige Lehrerarbeitszeitverordnung (LAZ-VO) für den Unterricht in der Sekundarstufe I durchgängig 15 Minuten für die Vorbereitung einer Unterrichtsstunde vor. Wie damit ein Unterricht durchgeführt werden soll, der auch nur annähernd den umfangreichen Qualitätskriterien des Orientierungsrahmens genügen kann, erschließt sich der Lehrerkammer nicht.
Systematische Qualitäts- und Unterrichtsentwicklung wird von den Schulen zunehmend eigenverantwortlich realisiert. Doch für die Aufgaben der dafür im Orientierungsrahmen geforderten Teams gibt es zu wenig Stundenzuweisungen, ja bei Gymnasiallehrkräften gar keine: Die Arbeitszeitverordnung ist hier schlichtweg auf einem veralteten schulpädagogischen Stand. Und es ist nach wie vor ein Skandal, dass kleine Schulen bei der Zuweisung der Mittel für die Entwicklung schulischer Qualität (F-Stunden) systematisch benachteiligt werden, da diese bei weitgehend gleichen Aufgaben nach Schüleranzahl verteilt werden. Indem der Orientierungsrahmen
die Arbeitszeitressourcen von heute nicht einbezieht, produziert er die Verliererschulen von morgen.

Ähnliches gilt für den Raumbedarf der Schulen. Es heißt: “Die Schulleitung vertritt die Interessen der Schule dahingehend, dass … der Bestand an Räumen und Flächen dem quantitativen und qualitativen Bedarf der Schulen entspricht“ (1.5.2.). Die Raumausstattung in vielen Hamburger Schulen ist bekanntlich gegenwärtig auch nach den Kriterien der BSB (Musterflächenprogramm) defizitär. Dies ist so, unabhängig davon, wie sehr sich Schulleitungen für eine angemessene Raumausstattung einsetzen. Dabei haben Größe und Ausstattung der Räume als „dritte Pädagogen“ unmittelbaren Einfluss auf die Qualität von Unterricht. Insgesamt wird diese offensichtlich gewollte Abkopplung von der schulischen Wirklichkeit dazu führen, dass der Orientierungsrahmen an den real existierenden Schulen als Beschreibung einer pädagogischen Parallelwelt empfunden wird. Der Orientierungsrahmen als Produkt wirklichkeitsfremder Theoretiker wird vermutlich von vielen Pädagogen belächelt, gewinnt aber im Zusammenhang mit der Schulinspektion einen bedrohlichen Charakter, wenn das schlechte Abschneiden der eigenen Schule vorprogrammiert ist.

Verantwortung für das Personal

Im Orientierungsrahmen beschränkt sich die Verantwortung der Schulleitung für das Personal im Wesentlichen auf die Rückmeldung zur Arbeit, auf die Wahl der richtigen Fortbildungskurse, die gut in das Profil der Schulentwicklung passen, und auf die Rekrutierung neuen Personals, das ebenfalls in das Schulprofil passt (1.4. des Leitfadens). Insgesamt geht es darum , dass das Personal im Sinne des Orientierungsrahmens möglichst gut funktioniert. Indikatoren und Voraussetzung für eine gute Schule sind aber nach Ansicht der Lehrerkammer auch Arbeitsbedingungen wie Einzelarbeitsplätze des Lehrpersonals, Teamräume und von Größe und Ausstattung her
angemessene Lehrerzimmer. Vergeblich sucht man im Orientierungsrahmen die Verantwortung des Arbeitgebers zur Vermeidung von Arbeitsüberlastung, für Hilfestellung in schwierigen Situationen und zum Schutz vor psychischen und physischen  Gesundheitsgefährdungen, obwohl all dies unmittelbar Auswirkungen auf die Qualität schulischer Arbeit hat und für die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, die der Orientierungsrahmen ins Zentrum stellt, von entscheidender Bedeutung ist.
Auch diese Aufgabe ist von den Schulleitungen allein unter den Bedingungen von Arbeitsüberlastung und zu knapper Ressourcen vermutlich … nicht zu bewältigen.

Der Orientierungsrahmen entspricht damit voll und ganz den Kriterien struktureller Gewalt. Er wird das apostrophierte Ziel nicht erfüllen, weil er die an Schule Beteiligten ignoriert und perspektivisch schädigt.

pdf:LKSt_120913_Schulqualitaet